Teil 5 aus ‚DES TEUFELS HAND‘

Die bewusste Grenze war erreicht; es war der 21. Oktober 1978; keinerlei Probleme mit meinem neuen, indischen Pass. Mit einem holprigen Bus ging die Fahrt weiter; danach ein leichter Tagesmarsch zu Fuß. Das sogenannte `Camp ́ bestand aus drei großen Zelten und war Unterkunft für weniger als sechzig Personen.

In den nächsten sechs Monaten sollte ich alles lernen, was zum bewaffneten Guerilla-Kampf notwendig war. Im Dschungel kannte ich mich bereits einigermaßen aus und konnte Jagd– und Essbares finden, sollte ich einmal darauf angewiesen sein. Das Hauptaugenmerk war der bewaffnete sowie unbewaffnete Kampf. Einzelne Feinde beschleichen und lautlos unschädlich machen; dazu war auch das Bogenschießen, welches ich ja schon beherrschte, geeignet. Gautam äußerte die Hoffnung, dass ich, der ich ja das Vertrauen der Eingeborenen in meinem Distrikt besaß, nach meiner Rückkehr wahrhaft Interessierten und Geeigneten eine ebensolche Schulung und ebensolches Training angedeihen ließe. Es könne Vieles erreicht werden, wenn in unterschiedlichen Gebieten des Landes die unterdrückten Volksgruppen an einem Strang zögen.

Gautam nannte mich einen hervorragenden Schüler, was mich stolz machte;tatsächlich gab ich mir alle erdenkliche Mühe, alle nur möglichen Kampfesweisen zu erlernen. Theoretische Schulung, das heißt, politisch gerichtete Überzeugungsarbeit, war für mich nicht nötig, da ich selbst ja bereits im gleichen Sinne tätig war. Ich lernte außerdem, mit einfachen Sprengstoffen umzugehen, was bei Überfällen, auf Polizeistationen beispielsweise, von Nutzen sein konnte.

Nach sechs Monaten reiste ich wieder ab; begleitet von Gautam bis hinter die indische Grenze. Er nahm mir das Versprechen ab, wann immer mir meine Verpflichtungen die Zeit dazu ließen, doch bei ihm und seinen Leuten vorbeizuschauen. Ich wüsste nun genügend Bescheid, so dass ich ihn und andere Kämpfer ohne Schwierigkeiten finden würde. Ich fuhr wieder zurück in mein Dorf und begann, erst durch Reden, dann durch gezieltes Training, einige Leute zu motivieren und aufzubauen, welche dann später wiederum andere Geeignete trainieren sollten. Ich bewohnte weiterhin meine alte Hütte, verschwand aber immer wieder für unbestimmte Dauer mit meinen Leuten in die Berge Abuzmars, wo sich für derlei Training das geeignetste Terrain befand.

Meine Leute waren durchweg Gond. Geeignete Mariah zu finden, erwies sich, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, als schlicht unmöglich. Sie verstanden nicht die Zusammenhänge, da ihr Gebiet noch nicht von Indern besiedelt war und nur einige von ihnen, bei Marktbesuchen in Chhotte Dongar, mit Indern in Kontakt kamen, abgesehen von zwei oder drei Händlern, die es auf sich nahmen, in Abuzmar Tauschhandel zu treiben. – Doch hatten Mariahs noch nicht das Gespür für den wahren Wert ihrer Güter, so dass sie nicht das Bewusstsein entwickelten, betrogen worden zu sein.

In kleineren Grüppchen trainierten wir auch in unseren eigenen Wäldern; doch immer wieder marschierten wir in das einsame, verschwiegene Abuzmar, in dem alle erdenklichen Wildtiere, wie selbst der gewaltige Gaur, zu Hause waren. Im Bogenschießen und lautlosen Sichbewegen waren die Gond ohnehin Meister, doch alles Weitere mussten sie von Grund auf erlernen. Sie waren keine Kämpfer im Sinne des Wortes und sie mussten immer wieder durch das Feindbild angespornt werden.

Ich begann, ein `falsches ́ Tagebuch zu führen, was für mich eine immense Arbeit bedeutete; schließlich musste ich mit jenem Tage beginnen, an welchem ich hier eingetroffen war. Das hieß, ich musste mehr als anderthalb Jahre auf dem Papier zurückdatieren. Dies war als Vorsichtsmaßnahme für den Fall der Fälle gedacht und ich trug alltägliche, banale Dinge ein. Ich versuchte, anhand des Kalenders, mich an wichtige Ereignisse, wie beispielsweise Feiertage, an welchen ich im Inderdorf gesehen wurde, zu erinnern und dies bedeutete wirklich eine Riesenanstrengung, bei all dem Anderen, das ich nun zu bewältigen hatte.

Im Herbst 1979 machte ich mich erneut auf den Weg, um Gautam und seine Gruppe zu besuchen; ich blieb zwei Wochen und kehrte dann auf gleichem Wege wieder zurück. Das Training ging weiter und ich vervollkommnete meine Sprachkenntnisse weiterhin; so auch das Lesen und Schreiben in Hindi.

Noch zweimal war ich unterwegs in den Nordosten; doch muss ich diesmal nicht nur den Ort, sondern auch die genaue Zeit verschweigen. Hatte ich bisher nur trainiert, so waren bei diesen beiden Reisen andere Aufgaben zu bewältigen und beim zweiten mal überschritt ich auch die Grenze zu jenem Geldgeberland. Dort blieb ich dreieinhalb Wochen als inoffizieller Gast des Landes und kehrte dann wieder mit jener Person, die mich von Gautam weggeführt und dorthin gebracht hatte, zu meinem Kämpferfreund zurück.

Man hatte einen Langzeitplan erstellt und wollte wissen, was ich, mein Gebiet betreffend, davon hielte. Ich vertrat meine Zweifel, das Ziel ohne Hilfe aus anderen Gebieten erfolgreich erreichen zu können. Das Hauptproblem bestand nach meiner Meinung im Analphabetismus der Menschen dieses Teiles von Madhya Pradesh, so dass die Erreichbarkeit und Mobilisierung der Massen empfindlich erschwert sein dürfte. Es musste zuvor Aufklärungs– und Überzeugungsarbeit zur Bildung und somit politischem Verständnis, betrieben werden. Dies alles hatte ich den Unterstützern unserer Sache dargelegt und Gautam gab mir recht, als ich ihm nach meiner Rückkehr darüber Bericht gab.

Gautam hatte von meinem Begleiter eine Order erhalten und wollte nun wissen, ob ich ihn und seine Leute begleiten wolle. Es waren keine Übungen zu absolvieren, sondern diesmal war es ernst. Mehrere Polizeistationen sollten überfallen werden; wohlgemerkt nicht in Indien, sondern in jenem kleineren, benachbarten Land, in welchem Gautam mit seiner Gruppe zur Unterstützung der einheimischen Guerilla trainierte und in dem wir uns eben befanden. Der Funke sollte irgendwann nach Indien überspringen. Ich stimmte zu; schließlich musste ich irgendwann doch an die Front und so würde dies meine Feuerprobe sein. Es stand zu erwarten, dass nach kurzem Schusswechsel die Polizisten die Flucht ergreifen und ihre Waffen zurücklassen würden.

Genauso kam es denn auch. Zeitgleich wurden fünf Polizeistationen angegriffen und ohne eigene Verluste konnten die Reviere aller Waffen beraubt und anschließend in Brand gesetzt werden. Drei Polizisten hatten den Tod gefunden und es war ein eigenartiges, betäubendes Gefühl, als mir klarwurde, dass ich Mitverantwortung daran trug. Die fünf Stationen lagen außerhalb der bereits von den Widerständlern kontrollierten Gebiete und somit würde der Überfall für nicht geringe Aufregung sorgen. Dennoch war Gautam sich im Klaren, dass man das eigene Gebiet zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausweiten konnte; doch es war ein Zeichen gesetzt für die unzufriedene Bevölkerung des Landes.

Ich kehrte zurück nach Umagaon, um mit dem üblichen Training fortzufahren und auch, um neue Anhänger zu gewinnen. Wir begannen, Schulen im Freien einzurichten. Lesen und Schreiben zuerst; später sollte politische Bildung dazu kommen. Im Oktober 1980 kamen zwei Leute Gautams und brachten schlimme Nachricht. Gautam sowie zwei weitere Widerstandskämpfer waren beim Grenzübertritt auf indischer Seite gefasst und so schwer gefoltert worden, dass keiner der Drei die Misshandlungen überlebt hatte.

Ihre verstümmelten Leichen hatte man auf einem Feld gefunden. Mittlerweile war durchgesickert, wer für die Folterungen verantwortlich war und die Kämpfer beabsichtigten, Rache zu üben. Die Beiden hatten Fotos mitgebracht, welche die drei verstümmelten Leichen zeigten. Ich war entsetzt und wutentbrannt entschloss ich mich, mit den Beiden zurückzukehren. Auch ich wollte Rache !

Überhastet packte ich und wir fuhren los; erst unterwegs bemerkte ich, dass ich, anstatt des falschen, indischen Passes, den echten, deutschen Pass eingesteckt hatte und somit wieder einmal ohne Visum unterwegs war. Da wir jedoch bereits zu weit gekommen waren, ließ sich nichts mehr an dieser Tatsache ändern. Bisher war es stets gut gegangen; also sollte es auch diesmal wieder klappen. Außerdem hatte ich Wichtigeres zu erledigen, als mir wegen eines falschen indischen Passes Kopfzerbrechen zu machen !

Ein grenznaher Polizeiposten, dessen sechsköpfige Besatzung für die Untat verantwortlich war, war das Ziel. Der Plan der Kameraden war, den Posten mit selbstgebauten Minen zu sprengen. Doch ich war dagegen. Ich wollte diese Bestien lebend haben; sie sollten wissen, was und wie ihnen geschehe und auch das Warum sollten sie erfahren ! Fünf Wochen dauerte es, bis die Folterknechte endlich wieder gemeinsam ihren turnusmäßigen Dienst verrichteten.

In einer Überraschungsaktion stürmten wir den Posten und nahmen alle Sechse gefangen. Wir schleppten sie über die nahegelegene Grenze; jedoch auf Schleichwegen durch die Wälder und freilich nicht über den offiziellen Grenzübergang. Etwa einen Kilometer vor dem Camp der Freunde hielten wir an, um die Sechs abzuurteilen.

Ende der Leseprobe aus ‚DES TEUFELS HAND‘ Das Buch erhalten Sie als Druck – E-Buch und auch als Hörbuch.